It's my Life

 

 

Das Wichtigste zuerst ...

Countup

... ago

 

🚭🥂🍾


 

Warum erzähle ich Euch das alles?

 

Alles? Nee, nicht alles ... aber ich erzähle Euch all das, was mich zur Liebe zur Schallplatte und zur Rock/Pop/Blues/Soul-Musik der furiosen 60er Jahre gebracht hat.

Diese Zeit -  sowie auch vorher die zweite Hälfte der 50er -  sind und bleiben  revolutionär und einzigartig, weil gesellschaftsverändernd - nicht nur in meinem Elternhaus ...

Meine  Erlebnisse in diesem Zusammenhang wollte ich immer schon mal niederschreiben und kommunizieren, so dass einige jetzt hoffentlich mich und meinen musikalischen Hinterkopf noch besser verstehen. 

It's my life and I'll do what I want
It's my mind and I'll think what I want
Show me I'm wrong, hurt me sometime
But some day, I'll treat you real fine.



Und los geht's ... 1952

Am Freitag, den 7. November (ursprünglich 6. November ......) des Schaltjahres 1952 fing "alles" an. Es war fünf vor zwölf, High Noon im altehrwürdigen St. Vincenz in Köln-Nippes, und der Klapperstorch brachte mich auf diesen Planeten. Und das war gut so.

Meine Eltern nannten mich kurz und knapp: Horst. Fertig. Keine Silbe mehr.

Das fehlerhafte Geburtsdatum wurde erst zwei Jahre später bemerkt ... und korrigiert.


Meine Eltern, mein achteinhalb Jahre älterer Bruder Ulli und ich lebten mehrere Jahre kriegsbedingt in einer Baracke in einem Industriegebiet an der Emdener Straße in Köln-Niehl. An Wohnungen mangelte es in Köln immer noch. Erst 1956 fanden meine Eltern nach langem Suchen in dem damals noch ländlichen Köln-Vingst eine "richtige" Wohnung, welche nach einem Bombenschaden gerade wiederhergestellt worden war.

Das "Wirtschaftswunder" hatte somit auch für uns begonnen ...

1956 wurde das erste Auto angeschafft, ein weißer Lloyd 400. Zuvor transportierte uns eine zweizylindrige Zündapp mit Beiwagen durch die Stadt, Mutter und ich im Beiwagen, Bruder auf dem Sozius, und der Vater lenkte. Einen Fernseher gab es bei uns noch nicht. Man/frau/kind ging nach Köln-Kalk ins Kino, oder man spielte zu Hause bei Schnittchen und Kölsch mit Freunden Rommée - oder Mau-Mau mit mir ...



Musik ... zwei ... drei ... vier (1957)

1957 kam ein kulturhistorischer Meilenstein ins traute Heim: Eine moderne Fernseh-Truhe mit Radio, Plattenspieler und "kräftiger" Lautsprecherzeile unten ...

Das Radio hatte für die Tonklangfarbe 3 Tasten zur Auswahl:

Konzert, Sprache und ... Jazz!

"Jazz" war für meinen Vater gleichbedeutend wie "Rock'n'Roll" und "Negermusik", die Taste existierte prinzipiell gar nicht für ihn. Denn der plötzlich wie eine Lawine aufkommende Rock'n'Roll Mitte der 50er Jahre mit Bill Haley, Elvis (Presley), Chuck Berry, Buddy Holly, Eddie Cochran, Little Richard, Jerry Lee Lewis war bei vielen besorgten Eltern ein Rotes Tuch, weil er das biedere Fundament des trauten Heims nicht nur musikalisch heftigst erschütterte. Auch modisch und frisurentechnisch änderte sich das Straßenbild gewaltig. Die Firma SCHWARZKOPF machte bombastische Umsätze mit der Frisiercreme FIT, denn man(n) wollte ja aussehen wie die großen Stars. Der Kamm war damals ein Muss in der Gesäßtasche eines jeden heranwachsenden "Halbstarken". Mein Vater wusch sich jedes Mal angewidert seine Hände, wenn ein Freund meines Großen Bruders ihn freundlich und guterzogen mit einem Händedruck begrüßte ...

Meinem 8 Jahre älteren Bruder Ulli habe ich sehr viel zu verdanken. Einmal weil er mir sehr früh den Rock'n'Roll nahebrachte, und weil er im Nachhinein meinen Vater zum Umdenken bei meiner (liberalen) Erziehung bewegte.


Elvis' entering home ... (1958)

Ich werde es nie vergessen, es muss 1958 gewesen sein, als mein Bruder eines Abends stolz mit seiner ersten Schallplatte nach Hause kam, eingetauscht gegen Briefmarken aus seiner Sammlung: Elvis Presley's Jailhouse Rock ...

Mein Vater saß derweil (noch) entspannt unter der Stehlampe in seinem Wohnzimmersessel und las die Kölnische Rundschau. Mutter war in der Küche und bereitete das "Abendmahl" vor.

Mein Bruder fragte höflich meinen Vater, ob er ihm mal seine neue Schallplatte vorspielen dürfe. Mein Vater nickte zustimmend - tief in seiner Zeitung versunken und noch nichts ahnend, was da auf ihn und auf seine neue Musik- und Fernsehtruhe zukommen wird ...

Mein Bruder legte vorsichtig die Platte auf den Plattenteller, drückte zuvor die "Jazz"- und dann die Starttaste des Plattenspielers ... ich schaute gespannt zu, wie sich der Arm des Tonabnehmers vollautomatisch auf Elvis absenkte ... und dann gings auch schon los:


Gitarre (Scotty Moore):

Baaaa Bammm, Bam Bam ...

Baaaa Bammm, Bam Bam

Vocal (Elvis):

"The warden threw a party in the county jail
The prison band was there and they began to wail
The band was jumpin' and the joint began to swing
You should've heard them knocked-out jailbirds sing

Let's rock, everybody, let's rock
Everybody in the whole cell block
was dancin' to the Jailhouse Rock ....."

Mein Bruder strahlte stolz über beide Ohren ... hinter der Kölnischen Rundschau war noch keine Regung zu verspüren ... ich ahnte nichts Gutes ... und dann nach einiger Überlegung senkte sich allmählich die Zeitung und ein tiefrot angelaufener Kopf meines Vaters kam zum Vorschein ... sichtlich angestrengt, um nun die folgenden "passenden" Worte zu finden: "Maaaaaaaach bloooß, daaass die Platte da runter kommt ... du machst mir die Naaadel, den ganzen Plattenspieler kaputt ...!"

Puh, das war heftig.

 

Tja, so "feierte" der Rock'n'Roll seinen Einstand in unserer Familie ...


Die moderne Tonbandmaschine (ab 1962)

Ab sofort war klar, das Abspielen "moderner" Schallplatten im Beisein meines Vaters ging gar nicht! Nur tagsüber (unsere Mutter hatte wesentlich mehr Rhythmus und Verständnis im Blut) und alle 14 Tage mittwochabends war hierfür die einzige Gelegenheit, denn mittwochs war bei unseren Eltern Kegelsport angesagt.

 

In den nächsten 2-3 Jahren rüsteten die Jungs um meinen Bruder technisch auf. Die ersten Tonbandgeräte wurden angeschafft, und man traf sich bei dem einen oder anderen zu Hause, um die neuesten Rock'n'Roll-Platten auf-zunehmen. Den Kauf neuer (teurer) Schallplatten teilte man sich auf, denn Taschengeld war knapp. Mein Bruder kaufte sich ein TK 23 Viertelspur-Röhren-Tonbandgerät von Grundig, welches ich (fleißig) mitbenutzen durfte (an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank, lieber Ulli).

Die mittwochabendlichen Aufnahme-Sessions Anfang der 60er Jahre bei uns im Wohnzimmer waren immer sehr lustig, und ich durfte damals als 9-10 jähriger immer dabei sein. Das machte mich unheimlich stolz. Aufgenommen wurde mit mehreren Geräten gleichzeitig über Mikrophon. Denn die Zeit war knapp, da ja meine Eltern irgendwann wieder nach Hause kamen. Störungsfreies Mitschneiden über Kabel wäre auch möglich gewesen, aber es stand ja nur 1 Diodenstecker für jeweils 1 Gerät zur Aufnahme zur Verfügung. D.h. bei beispielsweise 3 Geräten hätte man die Platte 3x abspielen müssen ... Das hätte man im Nachhinein auch besser gemacht, denn es gab während der Aufnahme im "Studio Wohnzimmer" immer ein Gelächter, ein Geräusch, was das Mikrophon unbarmherzig mitschnitt ... und wenn es nur der halbstündige Glockenschlag der Wanduhr war.


Radio und Rock'n'Roll in den 50er/60er Jahren

Als junger "Fetz" hatten wir selbstverständlich nicht so viel Taschengeld, um uns Schallplatten zu kaufen. Eine Single kostete damals stolze 4 Mark 50, eine LP so um die 18 Mark. Mit der Anschaffung eines Tonbandgerätes durch meinen Bruder und der Möglichkeit, Musiksendungen im Radio mitzuschneiden, geriet meine elektrische Spielzeug-Eisenbahn schnell aufs Abstellgleis. Ich lernte  jedoch sehr schnell, dass englischsprachiger Rock'n'Roll und die aufkommende britische Beat-Musik im deutschen Radio Anfang der 60er eine Rarität waren. Gespielt wurde auf UKW lediglich deutschsprachiger Schlager, Tanzmusik und Klassik.

 So sah das typische deutsche Radio-Programm Anfang der 60er Jahre aus (HÖRZU vom Samstag, 11. Januar 1964). Keine Spur von Pop-Musik, Hitparaden etc., es gab nur "Hochkultur" auf die Ohren ... auch bei der BBC in England war das übrigens so.

Ganz schlimm waren im November Totensonntag und Volkstrauertag, dann gab es ausschließlich Trauermusik ...

Aber zum Glück hatten wir ja noch unsere ausländischen  "Besatzer" mit ihren Radiostationen in der Bundesrepublik. Das waren die Amerikaner mit AFN in Frankfurt und in unserem Sendegebiet die Briten mit BFBS  in Köln-Marienburg. Jeden Sonntag-nachmittag (ich meine, es war immer um 17 Uhr)  hingen wir an den Radiogeräten zu Hause, um in feinster UKW-Qualität die Hits in der legendären "Top Twenty Show" mitzuschneiden. Dass die Moderatoren in die Musik hineinsprachen, mussten wir wohl oder übel in Kauf nehmen. Die Show wurde seit 1958 ausgestrahlt, ab 1963 lief als Intro für diese Hitparade der Titel Sandstorm der Gruppe Johnny & The Hurricanes.

Für den Kölner Raum gab es neben BFBS als Pop-Sender Anfang der 60er lediglich noch Radio Luxemburg auf Mittel- und Kurzwelle und die (berühmt-berüchtigten) Piratensender in den Nordseegewässern. Da diese jedoch nicht auf UKW sendeten, waren sie für das Mitschneiden auf Band nicht geeignet.

Wikipedia hat das Thema "Piratensender" mal schön zusammengefasst:

Hier ein paar unglaubliche Foto-Schätzchen von den Pirate Stations in den 60ern ...

https://www.flickr.com/photos/offshoreradio/albums/72157667708040255/page1


Kirmes = Rock'n'Roll

Eine (zwangsläufig) beliebte Möglichkeit, die aktuellsten Hits hören zu können, war die Kirmes. Hier entstand in der Sprachschöpfung unserer Eltern auch der abfällige Begriff "Kirmesmusik" für unsere Musik-Lieblinge. Insbesondere auf der "Raupe" wurden die fetzigsten Platten gespielt. Dort tummelten sich die "Halbstarken" um die Mädels ... und die Mädels um die "Halbstarken". 

 


Mein erstes eigenes Tonbandgerät (1967)

Im Frühjahr 1968 verließ mein Bruder das Elternhaus und zog beruflich bedingt nach Mannheim. Das hieß für mich, nicht nur jetzt ein eigenes Zimmer zu haben, sondern es musste auch ein neues Tonbandgerät für mich her. Glücklicherweise stand meine Konfirmation an, und alle Geschenke wurden im Idealfall in Form von Geld geleistet.  Rechtzeitig  vor dem Auszug meines Bruders  war ich stolzer Besitzer  meines ersten eigenen neuen Tonbandgerätes. Mittlerweile stand auch die Fernseh- und Musiktruhe in meinem Zimmer. Denn meine Eltern hatten sich eine neue Stereo-Anlage bei Bertelsmann geleistet, die nun das Wohnzimmer schmückte.


Mein Party- bzw. Musikkeller 1967-1971

Mit dem Auszug meines Bruders wurde auch seine "Werkstatt" im Keller frei.

Um die nachfolgenden Geschehnisse zu verstehen, muss der Leser wissen,

  • dass wir in einem 8-Parteien-Miethaus mit einigen kinderliebenden Kriegerwitwen wohnten,
  • dass wir den größten Keller im Haus hatten,
  • dass mein Bruder das Studium zum Starkstrom-Elektroingenieur beendet hatte,
  • dass in der Nähe ein ALDI-Laden eröffnete,
  • dass wir bis dato mit Briketts geheizt hatten
  • dass wir bis dato Kartoffeln in großen Mengen eingekellert hatten
  • und dass das Hören von "Kirmesmusik" in der Wohnung störte ...

Mit dem "Umzug" der elterlichen Musiktruhe vom Wohnzimmer in unser Kinderzimmer nahm schlagartig sowohl die Dauer der Beschallung mit "Kirmesmusik" als auch deren Lautstärke zu. Dies führte zu heftigen Diskussionen mit den Eltern und mit dem über uns wohnenden Rentnerehepaar. Es musste eine Lösung her ...

 

Mein Bruder hatte im Rahmen seiner mehrjährigen Starkstrom-Elektroausbildung im Keller eine "Elektro-Versuchslabor-Werkstatt" eingerichtet. Hierfür brauchte er Strom, viel Strom. Um nicht den Kellerstrom der Hausgemeinschaft in Anspruch zu nehmen, legte er in Abstimmung mit unserem Vater eine geniale separate Stromleitung von unserer Wohnung im zweiten Stock außen an der Hauswand entlang runter in unseren Keller. Somit waren er - und später ich - unabhängig in unserem weiteren (stromabhängigen) Tun ...

 

Im Rahmen des fortschreitenden Wirtschaftswunders ersetzten mein Eltern Mitte der 60er die Kohleöfen in Wohn- und Kinderzimmer durch Elektroöfen. Die Küche und das Bad hatten Gasanschluss und wurden nunmehr mit modernen Gasgeräten befeuert. Die platzraubende und schmutzige Einlagerung von Briketts vor dem Winter im Keller entfiel somit. Mit der Eröffnung des ALDI-Ladens entfiel auch die bisher übliche Einlagerung von Winterkartoffeln im Keller, denn das wöchentliche Kartoffel-Angebot von ALDI im Kleingebinde war preislich unschlagbar und sauber.

Fazit: Es gab schlagartig sehr viel Platz in unserem Keller, zumal mit dem Auszug meines Bruders auch dessen Werkstatt nicht mehr in dieser Größenordnung notwendig war.

 

Die geniale Idee zu einem "Musikkeller" wurde geboren, als ich häufiger mit meinem Tonbandgerät ungestört und nicht-störend zum Musikhören in den Keller verschwand. Gegen die Kälte dort montierte ich einen ausrangierten elektrischen Heizstrahler aus unserem Badezimmer. Für die Lautstärke und den Raumklang sorgten alte Lautsprecher sowie ein altes ausgebautes Radio, welches ein Freund mit neuen "anderen" Röhren zusätzlich verstärkte. Ein Plattenspieler war mangels Schallplatten im ersten Step noch nicht erforderlich.

 

Wer in den späten 60ern in meinem Alter (ich war 15) einen Partykeller besaß, der galt als cool und stand in der Clique der "Heranwachsenden" im Mittelpunkt. Einen Partykeller in einem Mietshaus zu haben, war zudem noch ungewöhnlicher. Um jedoch von meinen Eltern die Genehmigung für einen Partykeller zu bekommen, durfte das Wort "Party" selbstverständlich nicht in meiner Argumentation auftauchen. "Party" habe ich daher durch "Musik" ersetzt, denn (meine) Musik war für meine Eltern und für die Nachbarn nur laut und störend. Die Einrichtung eines "Musikkellers" fanden alle Be(nach)teiligten ideal ... Hauptsache, die "Kinder" waren von der Straße weg, leise und halbwegs unter Kontrolle.

 

1967 begannen mein Freund Kurt und ich mit den Umbauarbeiten. Zufälligerweise wurde gleichzeitig auch noch wegen eines Sterbefalles ein Nachbarkeller frei, der nicht mehr benötigt wurde. Hierhin wurde alles entsorgt, was ein Partykeller nicht braucht ... wie z. B. mein Fahrrad.

 

Als Bar diente ein alter Bettrahmen aus Holz, den wir an einer Seite fest mit der Wand verdübelten. Das andere Ende bekam ein Klappbrett zum Rein- und Rausgehen, welches ansonsten zwecks Stabilität fest mit der Wand verbunden war. Hinter der Bar war die Musik und die Technik. Vor der Bar standen als Sitzgelegenheit 2 alte Ölfasser, die wir aus dem Rhein geborgen hatten. Als weitere Sitzgelegenheiten diente ein altes Sofa und eine Bank aus Korbgeflecht. In jeder Ecke hing auf Ohrenhöhe eine selbstgebastelte Lautsprechereinheit.

 

Nun ging es an die Innendeko.

 

Kurt "besorgte" als Gag für die Wände alte Verkehrsschilder. Die Wände wurden poppig bunt angestrichen bzw. kunstvoll bemalt. Die Kellerdecke wurde mit Kerzen mühevoll schwarz geflämmt. Zur Beleuchtung gab es zunächst mal eine sehr helle Glühbirne, die für Arbeiten notwendig war und später eigentlich nur noch als "Alarmbeleuchtung" eingesetzt wurde ... In den Ecken und an den Wänden hingen bunte Glühbirnen, die ich teilweise in Reihe schaltete, weil sie ansonsten zu hell waren. Ein Dimmer war damals noch unbekannt. Doch das war mir alles noch zu ruhig, es musste lichttechnisch noch was Aufregenderes, was Flackerndes, was Blinkendes her ...

 

Da entdeckte ich in den elektrischen Ersatzteilhinterlassenschaften meines Bruders einige elektromagnetische Relais, an deren Unterbrecherkontakte man "was" anschließen konnte. Das erinnerte mich an die Physikstunde, in der die Funktionsweise einer elektrischen Klingel erklärt wurde. Also testete ich: Für den notwendigen Schwachstrom an den Elektromagneten musste ein Trafo meiner Spielzeugeisenbahn dran glauben ... an die Unterbrecherkontakte schloss ich ein weiteres Relais sowie eine 220V-Glühlampe an. Ich drehte den Trafo hoch und siehe da ... die Glühbirne fing an zu blinken, mal mehr mal weniger stark je nach Stellung des Eisenbahntrafos. Wunderbar! Das Wunderwerk hatte nur einen Haken: Das Klappern der mechanischen Relais empfand ich als ziemlich laut, solange keine (laute) Musik lief und keine (lauten) Menschen im Raum waren ... Aber egal, als kurzeitigen Gag fand ich meine "Lichtorgel" ganz gut. Auch die knackenden Störungen im Verstärker nahm ich in Kauf. Als Leuchteinheit nahm ich den ausrangierten achtflammigen Deckenleuchter aus unserem Wohnzimmer, schraubte bunte Glühbirnen rein und versteckte ihn hinter einem bunten Regenschirm an der Wand. Cool!


Mittlerweile sprach sich in der Clique rum, dass mein Keller gute Fortschritte mache und wohl kurz vor der Vollendung stehe. Die ersten Neugierigen kamen und klingelten meine Mutter aus dem Mittagsschlaf. Tja, eine Klingel fehlte im Keller. Und ein Plattenspieler fehlte auch noch, denn meine Freunde brachten ja ihre Schallplatten mit. So musste dann auch der Plattenspieler aus der Musiktruhe in meinem Zimmer dran glauben. Ich baute ihn aus und gab ihm im (Party)Keller ein neues Zuhause.

 

Meine Eltern machten sich mittlerweile auf Grund meines starken Engagements im Keller (zu Recht) zunehmend Sorgen, ob das denn zeitlich alles so mit meinen schulischen Aufgaben vereinbar wäre. In der Tat ließen meine Leistungen dort nach, so dass einmal meine Versetzung wegen einer Fünf in Geschichte und einer Fünf in RELIGION (!) sehr stark gefährdet war. In Religion war nichts mehr zu retten, aber in Geschichte reichte es letztendlich mit allerletzter Kraft mal wieder für ein Ausreichend.

Puh! Das war knapp!


Rock'n'Roll, Schallplatten und Kneipen

Im November 1968 wurde ich sechzehn. Ich fühlte mich fast wie volljährig. Denn ich durfte nun offiziell in der Öffentlichkeit rauchen und alleine in Kneipen und in Diskotheken gehen. An meine erste Outdoor-Zigarette erinnere ich mich noch ganz genau: An meinem Geburtstag fuhr ich mit der Straßenbahn von Köln-Vingst nach Köln-Deutz zur Schule. Ich stieg eine Station vorher aus, um den Rest zu Fuß zu gehen ... und um meine erste Zigarette in der Öffentlichkeit zu rauchen. Meinen Geburtstag feierte ich mit den meisten meiner Klassenkameraden während der Doppelstunde Sport im Hansa-Eck unweit unserer Schule ...

Manch aufmerksamer Leser wird sich nun vielleicht fragen, was denn meine Liebe zur Schallplatte und zum Rock'n'Roll mit meinen Kneipenbesuchen zu tun hat.

Nun ja, wie bereits oben geschildert, gab es in den 50ern und 60ern wenig Möglichkeiten, die aktuellen Hits aus GB und den USA im Radio zu hören. Das war die Gunst der Stunde für die Automaten-aufsteller. In jeder Kneipe - und davon gab's in dieser Zeit in Köln an jeder Ecke eine - stand eine Jukebox. Und diese liefen fast permanent, da sie regelmäßig von den Betreibern mit den aktuellsten Schallplatten bestückt wurden. Jede Jukebox hatte ein Zählwerk. Somit konnten die umsatzstärksten Platten ("Hits of the House") ermittelt werden, die selbstverständlich solange drin blieben wie sie erfolgreich waren. Wenn man also "seine" Musik hören wollte, ging man in Kneipen, die auch von Jugendlichen frequentiert wurden.

http://www.spiegel.de/einestages/erfindung-der-jukebox-a-1003533.html


Rock'n'Roll, Schallplatten und "Open-Air" 1967-1970

Die Sommer 1967-1970 bleiben unvergessen. Es war die Hippie-Zeit, und die Sommer-Sonne-Luft war musikalisch weltweit durchtränkt mit einem Dunst von "Love, Peace, and Happiness" und der Sehnsucht nach "Freedom" ... vom Elternhaus. Spießertum und Kriege wie in Vietnam hatten wir satt.

Diesen Zeitgeist demonstrierte man/frau nicht in der Kneipe oder zu Hause vorm Radio sondern draußen in der Clique - idealerweise unter freiem Himmel mit Musik bei herrlichem Sonnenschein ... wie in San Francisco, wo die Bewegung ihren Ursprung hatte.


Meine Vingster Clique traf sich nachmittags auf der "Ponderosa", einem Wiesenbrachgelände mitten im Ortskern. Bei herrlichem Sommerwetter ging es ins Vingster Naturfreibad oder zum (verbotenen) Baggerloch "Dr. Alberti". Zwei Jahre hinter-einander hatten wir sogar Besuch von zwei Gammlern aus Berlin, die ihr Zelt am Baggerloch aufschlugen.

Batteriebetriebene Outdoor-Plattenspieler waren gefragt wie nie. Jeder brachte seine Schallplatten mit ... und machte seine ersten Erfahrungen, dass sich Vinyl und Sonneneinstrahlung überhaupt nicht vertragen ...

Auch an ausreichende Batterievorräte musste gedacht werden, denn die Dinger waren Stromfresser (insbesondere bei großer Lautstärke ... also immer).

 

Am Wochenende mussten auch die Transistorradios mit raus ins Schwimmbad, denn dann gab's nachmittags die Hitparaden von Radio Luxemburg (erst flämisch mit Peter Koelewijn, dann deutsch mit Camillo Felgen bzw. später mit Frank Elstner) und die Top Twenty Show von BFBS auf UKW. Jeder im Schwimmbad oder am Baggerloch hatte den gleichen Sender eingeschaltet, das war akustisch Summa Summarum wie "Klein-Woodstock" ... herrlich!



Beat-Musik und Frisurentechnik (Meine 60er)

Wie bereits der Rock'n'Roll bei meinem Bruder Ende der 50er, so sorgte auch die "British Invasion" Anfang der 60er beginnend mit den Beatles und den Rolling Stones bekleidungs- und frisurentechnisch für ernsthafte Beunruhigung und Besorgnis in den Elternhäusern. Aus heutiger Sicht sind die anfänglichen "Pilzköpfe" der Beatles eher nett und witzig als provokant.

Bis Anfang der 60er Jahre gab es von meiner Mom für meinen Friseur nur 2 Anforderungen an meinen Haarschnitt zu erfüllen: Fassonschnitt (weil adrett) und ziemlich kurz (weil kostengünstig wegen der längeren Besuchsrhythmen).  Da ich mich beidem zu widersetzen versuchte, begleitete sie mich regelmäßig, d.h. immer ... Als Brillenträger konnte ich zudem im Spiegel nur erahnen, welche Mengen der Mensch abschnitt ... es war immer grausam!

Erst ab Mitte der 60er konnte ich mich mehr und mehr mit Unterstützung meines Vaters durchsetzen. Ich wollte zunächst auch eine Pilzkopffrisur haben wie die Beatles. Dies gelang mir nur teilweise und nur mit einem Trick: Ich ließ mir eine Tolle wachsen, die ich in der Öffentlichkeit in mein Gesicht fallen ließ. Doch das half nicht lange, da sich bereits erste Anzeichen einer "hohen Stirn" bemerkbar machten ... also musste das Resthaar wachsen. Mittlerweile gab auch meine Mutter ihren haarigen Widerstand auf, um mich nicht unglücklich zu machen. Mit meinem Abi war dann alles erlaubt ;) Wohl auch deswegen, weil zu der Zeit bereits an meiner hohen Stirn abzusehen war, dass ich nicht mehr sehr lange Freude an meinem Haarstyling haben werde.


Beat-Musik und "Umbekleidungstechnik" (Mitte der 1960er)

Bei uns zu Hause sollte es klassisch zugehen:

Mutter legte morgens gegen 6 Uhr 15  nahezu undemokratisch Vaters Soll-Tagesbekleidung zum Anziehen aufs Bett, während er sich im Bad frisch machte. Diese "Erleichterung" sollte ich dann auch gegen 6 Uhr 30 genießen ...

"Bekleidung" war immer Mutters Domäne gewesen. Wie viele junge Frauen in den 30ern so besuchte auch sie eine Hauswirtschaftsschule und erlernte u.a. auch das Schneidern. In der Zeit des knappen Geldes nach dem Krieg machte sich ihr Nähtalent in der Haushaltskasse unserer Familie spürbar positiv bemerkbar. Ihre Kleider nähte sie sich selbst, Pullover und Jacken wurden für die ganze Familie selbst gestrickt. Ich erinnere mich gar an eine w o l l e n e Badehose, die sie für mich gestrickt hatte. Diese "Badehose" mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass ich zunächst ein besserer Taucher als Schwimmer wurde ... 

Bis Anfang der 60er bekam ich noch Hosen aus Anzugstoffen geschneidert, die bereits mein Vater getragen hatte und außerhalb des Gesäßbereichs noch relativ gut erhalten waren. Alle Hosen bekamen selbstverständlich eine Bügelfalte ... und unten noch jede Menge wachstumsbegleitenden Saum. 

Abgestoßene Hemdenkragen wurden mit Hemdenstoff aus dem Gesäßbereich erneuert.


Ab 1963 sollte alles anders werden ...

Die Beatles veröffentlichten 1962 mit "Love Me Do" ihren ersten Hit, die Rolling Stones folgten 1 Jahr später mit "I Wanna Be Your Man" (von Lennon/McCartney). Mary Quant erfand den Minirock. Die sich anschließende "British Invasion" löste einen gewaltigen und konträren Erdrutsch bei der Jugend und im Elternhaus aus. Wie bereits die Rock'n'Roller in den 50ern so wollten auch wir - wenn auch nur annähernd - so aussehen wie unsere neuen Idole ...

Ein großer Meilenstein in diese Richtung war, dass meine Eltern zunächst mal meine extrem abstehenden Ohren in der Uniklinik annähen ließen. Diese Schönheits-OP hatte  jedoch nicht  John Lennon oder Mick Jagger als anzustrebendes Vorbild zum Ziel, sondern sie war vielmehr darin begründet, dass ich 1963 aufs Gymnasium wechselte und jegliches Ohren-Mobbing von Beginn an ausgeschlossen werden sollte ... ;)

Bekleidungsmäßig hatte meine Mutter zunächst noch die Oberhand über mich, der Junge sollte adrett und ordentlich aussehen, er geht ja jetzt schließlich auf die Höhere Schule ... Das heißt, ich bekam - ohne mich zu fragen - meine Klamotten wie bisher zugeteilt, die sie von ihren Stadtbummeln für mich mit nach Hause brachte. Jeans (= "Texashosen" im elterlichen Sprachgebrauch) gab's zwar auch, aber nur für draußen in der Freizeit. Im Winter waren wärmende Manchesterhosen (= Cord-Hosen) angesagt ... fürs Gymnasium wurde jedoch eine Bügelfaltenhose nach der anderen mitgebracht, sogar Sakkos sollte ich anziehen.

Irgendwann so gegen Mitte der 60er Jahre platzte mir buchstäblich der Kragen.

Draußen in der großen weiten Welt rebellierte mittlerweile die Jugend gegen das reaktionäre Establishment, gegen die Zwänge im Elternhaus, gegen Krieg, gegen Unterdrückung, für Frieden und Freiheit. Dieses Protestverhalten fand ihren Ausdruck in Kleidung, in Worten und in der Musik. Hier wollte / musste ich dabei sein ...

Da mit meinen Eltern über eine Veränderung meiner spießigen Schulkleidung nicht zu verhandeln war, musste ich zu drastischeren Methoden greifen ...

Mein Vater verlies immer gegen 6 Uhr 50 das Haus, um ins Büro zu fahren. Meine Straßenbahn zur Schule fuhr gegen 7 Uhr 20. Meine Mutter trank ihren ersten (treibenden) Kaffee gegen 7 Uhr ... Ich hatte also gut 5 Minuten Zeit, ohne Widerstand in meine (Freizeit)Klamotten zu steigen und das Haus fluchtartig zu verlassen ... Meine Mutter tobte derweil im Bad, konnte jedoch wegen ihres Gallenleidens nicht schnell genug intervenieren ...

Mein Vater gab dann auch sehr schnell bei und empfahl meiner Mutter, mir keine Klamotten mehr ohne mein Beisein zu kaufen.

Thema erledigt ... ;)


(Wird fortgesetzt)